Die Mitten von Haus und Hof

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Hofmitte mit Brunnen, Bild von Mariechen auf Pinterest

Es gibt immer mehr als wir denken.

Die Mitte des Ortes, des Betriebes, des Hauses – selten findet das Thema Mitte in den Fokus der baulichen Betrachtung. Sie ist aus der Mode gekommen, so scheint es. Ein großes Achselzucken beobachte ich insbesondere, wenn ich die Mittenfrage für ein mehrfach genutztes Gebäude stelle. Ein Wohnbau mit Miet- oder Eigentumswohnungen, ein Betriebszentrum mit mehreren Unter­nehmen, ein Bauernhof mit Betrieb und/oder mehrere Wohnungen am Hof. Wo sind die Mitten in solch gemein­schaftlich genutzten Gebäuden?

Die Mitte kennzeichnet besondere Plätze in unserem Leben. Unsere eigene innere Mitte, die Mitte unserer Partnerschaft und Familie, die Mitte von Wohnung und Haus, die Mitte unserer sozialen und betrieblichen Beziehungen, die Mitte von Hof und von Dorf.

In einem Gebäude, einer Wohnung oder einem Garten ist die Mitte schnell gefunden. Die Diagonalen aus den gegenüberliegenden Ecken kreuzen sich im Mittelpunkt des Grundrisses. Für unregelmäßige Grundrisse gibt es eigene Methoden, wie die Mitte bestimmt werden kann. Nicht ganz so einfach, aber machbar. Es gibt aber nicht nur Höfe mit geschlossenen Grundrissen, sondern auch Haufen- und Streuhöfe mit mehreren Gebäuden. Da wird die Bestimmung der Mitte schon anspruchsvoller.

Eine alte Kulturtechnik

Beim Kirchenbau in früheren Jahrhunderten wurde ein Pfahl in die Erde gerammt. Mit ihm wurde der Bauplatz bestimmt und dessen Mitte festgelegt. Und er half durch seinen Schattenwurf, die Himmelsrichtungen auf dem Bauplatz festzulegen. Der Pfahl war die vertikale Achse zwischen Himmel und Erde, die Verbindung zwischen Geist und Materie sozusagen. Als der Kirchenbau fortgeschritten war, wurde der Pfahl ersetzt und ein Altar kennzeichnete die Mitte der Kirche.

Diese Kulturtechnik war nicht neu, bereits die Etrusker und Römern berichteten davon. Sie legten auch ihre Städte nach dieser Methode an, der Pfahl markierte dann die Stadtmitte. Dieser wurde ersetzt durch einen Omphalus (griechisch) oder Umbiculus (römisch), später kamen auch Säulen oder Obelisken zum Einsatz.

Mitte als Impulsgeber

Es ist gut möglich, dass unsere Ahnen ähnliche Bräuche beim Bau einer Hofstatt oder eines Burgstalls praktizierten. Denn eine wichtige Eigenschaft haben alle diese gesetzten Mitten: sie manifestierten den Gründungsimpuls! Solange die Mitte gewahrt wurde, konnten sich Haus, Hof und Stadt verändern, ohne dass sie ihre Identität verloren.

Analogie zum Menschen

Wo ist die Mitte beim Menschen? Die einen würden sagen, das Herz bildet die Mitte des Menschen. Andere nennen den Kopf oder den Bauch als Mitte. Tatsächlich braucht ein Verstandeskörper eine mentale Mitte und ein Gefühlskörper eine emotionale Mitte. Und dazwischen die ausgleichende Herzmitte, soweit wir sie auch „arbeiten“ lassen.  

Gültig auch für Baulichkeiten?

Gilt diese komplexe Mittenbetrachtung beim Menschen auch für ein Gebäude? Grundsätzlich ja, es ist sogar sehr hilfreich, dieser Analogie zu folgen. Beginnen wir mit dem Leichteren, der geometrischen Mitte. Geometrie ist eine geistige Leistung und eine konstruierte Mitte demnach mentaler Natur. Soweit so gut. Aber so ein Hof ist ein komplexes Gefüge …

Die vielen Mitten eines Hofes

Ein Bauernhof ist zuerst ein Wohnort für eine Familie. Mit einem integrierten Ausnehmer auch für zwei Familien, alt und jung. In früheren Zeiten auch Wohnort der Mitarbeiter. Und dann ist der Hof auch ein landwirtschaftlicher Betrieb. Diese Aufzählung drängt schon den Verdacht auf, dass ein Hof nicht nur eine Mitte hat. 

Die Mitte des Hofes

Der Gesamtkomplex des Hofes mit allem was darin und rundum geschieht, hat seine Mitte. Geometrisch im Innenhof oder bei anderen Hofformen in der Mitte der Einzelgebäude. Auf dem Titelbild ist die Mitte durch einen Hofbrunnen markiert. Ein gute und nicht nur symbolische Situation, ich komme später nochmals darauf zurück.

Eines ist den Mitten der meisten Hofformen gemeinsam: sie liegen im Freien. Sie finden sich in der Mitte der Hoftrakte bzw. der frei stehenden Hofgebäude. Das unterscheidet das Thema auch zu Grundrissen von Wohnungen und Wohnhäusern.

Außermittige Mitten

Wir haben aber nicht nur Höfe mit geschlossenem Grundriss, sondern auch Haufen- und Streuhöfe mit Einzelgebäuden. Hier gestaltet sich die Suche nach der Mitte etwas schwieriger. Dann kann es gut sein, dass die Mitte des Hofes irgendwo am Rande oder gar außerhalb des Hofes liegt. Letzteres bedeutet, dass die Bewohner und der Betrieb gar nicht in den Genuss ihrer Mitte kommen.

Manche Experten raten in so einem Fall zur Gestaltung einer Ersatzmitte. Meine Empfehlung: überprüfen Sie Ihre Geometrie! Die Bauten in den Dörfern und am Lande wurden von unseren Ahnen erbaut. Da ging es nicht immer so genau her mit dem Maßstab, oft zählte der „dicke Daumen“. Forschen Sie nach der Mitte der Erbauer.

Gesamt- Teil- Teil-
organismus organismus organismen
Hof Hausstock Wohnungen


Die Mitte des Hausstockes

Der Wohntrakt am Hof bzw. der Hausstock ist der Gebäudeteil, in dem die Menschen am Hof wohnen. Insofern ist das Wohngebäude ein eigenständiger Teil am Gesamtkomplex Hof. Ein eigener Organismus sozusagen, der seinerseits seine Grenzen und seine Mitte hat und auch braucht. Mehr noch als früher, weil wir zunehmend ein Leben neben dem Beruf auch noch haben.

Die Mitte der Wohnungen

Auf manchen Höfen ist das Ausnehmer in das Gebäude integriert, auf manchen Höfen gibt es ein eigenes Auszugshaus für die Alten. Im ersteren Fall haben wir dann zwei Wohnungen am Hof und damit auch zwei Mitten der jeweiligen Privatsphären. Wünschenswert wäre, wenn es ein gemein­sames Vorhaus mit den Zugängen in die Wohnungen gibt.

Räumliche Mitten

In einigen Fällen entwickeln andere Gebäudeteile auch ihre Eigenständigkeit, wie beispielsweise der Hofladen, Urlaub am Bauernhof, ein Seminartrakt oder Praxisräume. Sie sind Teil des Wirtschafts­betriebes, haben aber auch ein Eigenleben. Sie haben ihre eigenen Mitten und Mittenthemen. Die Angebote stehen im Vordergrund und man trifft sich mit Kunden und Klienten.

Gefühle für Haus und Hof

Ich kehre nochmals zur Analogie mit dem Menschen zurück. Da habe ich neben der mentalen Mitte auch eine emotionale Mitte vorgestellt. Gilt das auch für Baulichkeiten? Ein Bauchgefühl des Hofes sozusagen?

Die emotionale Mitte

Es gibt auch Fokuspunkte, die nicht der Geometrie von Grundrissen folgen. Es sind gefühlte Punkte, nicht beliebig, aber flexibel. Sie markieren den Gefühlskörper des Hofes und sind in mancher Hinsicht sogar wichtiger als die mentalen Fokuspunkte. Wie der Mensch hat auch der Organismus Hof beides, Verstandes- und Gefühlsköper mit ihren jeweiligen Fokuspunkten.

Eine emotionale Mitte kann nicht geometrisch ermittelt werden. Sie müssen gesucht, besser erspürt werden. Emotionale Werkzeuge sind ein Gefühl für den Hof, ein Gefühl für die Menschen, ein Gefühl für die Ahnen. Deshalb ist dieser Mittenpunkt so wichtig, weil er uns einen möglichen Zugang zu den Gefühlswelten eröffnet.

Ein Herz für Haus und Hof

Das Herz liegt zwischen Verstand und Gefühl. Es verbindet beides, berücksichtigt beides und gleicht beide aus. Eine wunderbare Aufgabe. Auch Landschaften und Baulichkeiten haben so eine Funktion, die wir als Herz bezeichnen können. Einen Fokuspunkt, an dem wir an alle Ebenen des Hofes anknüpfen können.

Die herzliche Mitte

Der Herzpunkt hat auch viel mit den Bewohnern zu tun. Denn Herzen sind immer miteinander in Verbindung. Auch die „Herzen“ unterschiedlicher Entitäten. Der Herzpunkt kann sich ändern, wenn es einen Generationenwechsel gibt. Dann schlägt das Herz des Hofes für die jungen. Wo es räumlich verortet wird, ist immer woanders und darf gesucht werden.

Philosophie und Wirkung

Wofür steht denn Mitte?

Die Mitte hat nicht nur mit Mittelpunkt oder Mittenpunkt zu tun. Mitte verkörpert neben dem statischen Aspekt von Ort, Platz, Stelle auch dynamische Aspekte von Gelegenheit, Möglichkeit, Entwicklung. Sie unterstützen den jeweiligen Gesamtorganismus, geben ihm Halt und Zentriertheit. So wie wir das als Menschen auch brauchen.

Wofür geht die Mitte?

Mitten wirken auf unterschiedlichen Ebenen, bewusst und unbewusst. Sie entfalten sich physisch, energetisch, emotional, mental, seelisch, geistig. Wenn ihnen Aufmerksamkeit geschenkt wird, werden sie gestärkt. Noch intensiver, wenn sie bewusst gestaltet werden. Denn damit bringen wir Themen in den Gesamtorganismus Lebensraum ein.

Wirkungen von Mitte

Die Mitte steht für die Lebenskraft, sie schafft das Potential für Gesundheit, Vitalität und Zentrierung. Die Mitte ist aber auch Fokus des dauernden Wandels und Ausgleich aller Gegensätze. Die Mitte ist TaiChi, das Prinzip der Einheit aller Gegensätze. Alle Richtungen verschmelzen in einem Punkt. Jede Form der Lebensenergie trifft sich in seiner Essenz

Zu guter Letzt

Die Frage nach der Mitte sollte sich nicht nur auf die Suche nach der jeweils geometrischen Mitte beschränken, sondern bedeutet auch, sich Gedanken zum eigenen Leben und zur eigenen Mitte zu machen. Lebt man in Einheit mit sich und seiner Lebensvorgabe, besteht Harmonie? Die Aus­einander­­setzung mit der Mitte des Hofes ist somit eine logische Folge, wenn man sich mit der eigenen Mitte beschäftigt.


HOFIMPULSE
Mag. Wolfgang Strasser
Lebensraum- und Unternehmensberater

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